3. Haupttypen der Einwände
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Nun aber hebt Dilthey die Unhaltbarkeit und Unberechtigung
dieser Ontologisierung und Hypostasierung des genannten logischen
Prinzips hervor. Die Wirklichkeit widerspricht nämlich in jedem
Schritte der Anmaßung, ein Denkprinzip als Weltprinzip aufzu¬
stellen. Sie trägt keineswegs einen streng rationalen und mathe¬
matischen Charakter; sie ist irrational und, da sie mit subjektiven
Gefühlen und Werten durchsetzt ist, undefinierbar veränderlich.
Die Bestandteile des Gegebenen sind auf Grund ihrer verschieden¬
artigen Herkunft ungleichartig und daher unvergleichbar. Also
können sie nicht aufeinander zurückgeführt und nicht zu einer ein¬
deutigen Einheit untereinander verbunden werden. Zumal in der
geschichtlichen Welt spielt das Moment des Individuellen und des
individuellen Wertes eine besonders wichtige Rolle. Hier ist die
Fülle eigenartiger und einzigartiger Gestalten so groß, daß es nicht
bloß logisch unmöglich, sondern auch sachlich widersinnig und aus¬
sichtslos ist, dieser Fülle das Gepräge einer verstandesmäßig kon¬
struierbaren Einheit zu geben. Schon ein darauf abzielender Ver¬
such versündigt sich gegen den geschichtlichen und menschlichen
Wert jener Mannigfaltigkeit: Hier heißt vereinfachen und vereiner-
leien, das Wesen der Sache verkennen und vernichten.
Nun ist aber der formale Satz vom Grunde die logische Wurzel
aller folgerichtigen Metaphysik, d. h. einer allgemeingültigen Wissen¬
schaft aus reiner Vernunft. Erweist er sich als auf die Wirklichkeit
nicht anwendbar, dann entfällt damit die Möglichkeit der Meta¬
physik als objektiver Erkenntnis. Das „Leben“ in seiner Mannig¬
faltigkeit und Heterogeneität und das lebendige Gefühl für diese
Verschiedenartigkeit lassen sich nicht in den logischenZusammenhang
einer allgemeingültigen Wissenschaft pressen. Die Bänder des meta¬
physischen Weltzusammenhanges stimmen nicht mit den logischen
Klammern des Verstandes überein. Die Formen des Denkens können
nicht als identisch mit den Formen des Wirklichen gelten. Ebenso aus¬
sichtslos ist eine einheitliche metaphysische Vorstellung, die sich
weniger auf die Form als auf den Inhalt der Wirklichkeit bezieht. Die
Erkenntnisse der Metaphysik stammen ihrem Inhalt nach aus dem Er¬
lebnis- und Erfahrungskreis des Metaphysikers; und keine Konstruk¬
tion ist imstande, die Relativität des Kreises, dem ihre Begriffe ent¬
nommen sind, zu überwinden. Sie ist und bleibt auch in dieser Hinsicht
in die Subjektivität derjenigen Eindrücke und Erkenntnisse ein¬
geschlossen, die überhaupt die Quelle für alles das abgeben, was die
Metaphysik uns von der Wirklichkeit zu berichten weiß.-