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I. Typische Einwände gegen die Metaphysik
Durchführung der mechanistischen Naturerkenntnis durch Galilei
und Descartes folgte unmittelbar die Übertragung dieser Erklärungs¬
weise auf den Staat und auf den Menschen durch Hobbes und
Spinoza. So entsteht die unermeßlich folgenreiche Lehre von der
seelischen Mechanik; David Hume verhält sich zu Newton genau so
wie Spinoza zu Galilei und Descartes. Seine Assoziationslehre (in
inquiry concerning human understanding) ist ein Versuch, nach
dem Muster der Gravitationslehre Gesetze des Aneinanderhaftens
von Vorstellungen zu entwerfen. ,,Es ist wahrscheinlich, sagt Hume,
daß die eine Kraft und der eine Vorgang in der Seele von dem anderen
abhängt.“
Gleich der Lehre vom Staate und vom Menschen wird auch die
Anschauung vom Wesen der Kunst und der Religion mit möglichst
tiefdringendem Eingriff von allen metaphysischen Bestandteilen
gesäubert. Diese Gebiete sollen ebenfalls von ihren empirisch¬
psychologischen Grundlagen und Entwicklungsfaktoren her ver¬
standen, gewürdigt und aufgebaut werden. Die alte dogmatische
Metaphysik der Religion und der Kunst schwindet dahin; an ihre
Stelle tritt der Realismus einer rationalistisch-positivistischen Be¬
trachtungsweise. Bildhaft ausgedrückt: Die mystischen Nebel, mit
denen der traditionelle Dogmatismus das Seiende umschleiert hatte,
weichen; sie machen einer unverhüllten und freien Wirklichkeit
Platz, die ihr wahres Wesen nicht länger dem unvoreingenommenen
Anblick verbirgt.
Den Abschluß in dieser Zerstörung der Metaphysik führt nun nach
Dilthey die Erkenntnistheorie herbei. Mit Recht hebt er hervor,
daß es stets die Aufgabe und das Ideal der Metaphysik gewesen sei,
die Einzelheiten der Erscheinungen zu der Einheit eines logischen
und logisch bestimmbaren Weltzusammenhanges zu verbinden. Das
berühmteste Beispiel stellt in dieser Hinsicht der Rationalismus von
Leibniz dar. Er hat in dem Satz vom zureichenden Grunde das
Prinzip und die Formel gesehen, die den notwendigen Zusammen¬
hang in der Natur auch als einen Grundsatz des Denkens aussprechen.
Dieser Satz ist nicht nur ein logisches, sondern auch ein ontologisches
Prinzip, d. h. er drückt nicht bloß ein Gesetz des Denkens aus,
sondern er ist auch der adäquate logische Ausdruck einer Gesetzes¬
realität, die den Zusammenhang der Welt stiftet und gewährleistet.
Das Weltbild, wie es vom Rationalismus entworfen wird, ist der
identische Niederschlag der realen Welteinheit in der Sphäre des
Denkens.