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VI. Kapitel
DIE FORMENBEHANDLUNG DER
FRÜH RENAISSANCE
§ 33
Unvermeidlichkeit des römischen Details
Die Komposition nach Verhältnissen und für das Auge, welche die
Seele der Renaissance (§ 30, 32) ist, hatte schon im 12. Jahrhundert und
dann in der gotischen Zeit sich geregt. Sie wurde damals ganz besonders
hart betroffen durch das gotische Detail, welches einer entgegengesetzten
Gedankenwelt entstammte; dagegen hätte sie sich von der Formen¬
sprache der Römer schon deshalb angezogen finden müssen, weil diese
ihr Detail bereits als freies dekoratives Gewand gehandhabt hatten. Mit
aller Anstrengung suchte man sich nun von jenem schweren formalen
Widerspruch zu befreien.
Dazu kam aber noch das stärkste allgemeine Vorurteil für das alte
Rom. Es ist ganz unnütz zu fragen, ob die Italiener ein neues eigen¬
tümliches Detail hätten schaffen sollen oder können. Ihre ganze Bil¬
dung, die Vorgängerin der Kunst, drängte längst auf den allgemeinen
Sieg des Antiken hin; die Sache war im Großen völlig entschieden,
ehe man die Baukunst irgend um ihre Beistimmung fragte.
Für Mittelitalien handelte es sich zugleich um einen Sieg der Form
über den Stoff: eine bunte Inkrustation von Marmor aller Farben und
von Mosaik an den wichtigsten Kirchenfassaden mußte weichen vor
der ernsten Plastik des römischen Details, mochte auch letzteres tat¬
sächlich ebenfalls nur äußerlich einem Kernbau aus anderem Stoffe an¬
gefügt werden, wie schon bei den alten Römern selbst.
Außerdem adoptierte man nach Kräften auch die Gesetze der römi¬
schen Konstruktion. Dabei wußte man jedoch nichts anderes, als daß
Anlage, Hauptformen und Verhältnisse gemäß dem jedesmaligen Zweck
und der Schönheit erfunden werden müßten.
Die Renaissance kennt beinahe gar keine Nachahmungen bestimm¬
ter einzelner Römerbauten. Sie hat z. B. trotz aller Bewunderung kei¬
nen einzigen Tempel repetiert und überhaupt das Antike nur im Sinn
der freisten Kombination verwertet. Vgl. § 28 das Wort des Franc, di
Giorgio. Die Proportionen sind vollends ohne Ausnahme frei gewählt
und der Einfluß der antiken Ordnungen auf sie nur ein scheinbarer.
In Tat und Wahrheit hängt die Behandlung der Ordnungen eher von
den Proportionen ab.