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Ghiberti sagt bei Anlaß Giottos {Comment., p. XVIII): quando la na¬
tura vuole concedere alcuna cosa, la concede sen^a veruna avari^ia.
Die schöne frische Erscheinung der Renaissancebauten hängt wesent¬
lich davon ab, daß die Meister nicht bloß die Reißfeder führten, sondern
als Bildhauer, Maler und Holzarbeiter jeden Stoff und jede Art von For¬
men in ihrer Wirkung kannten. Sie vermochten einen ganzen Bau und
dessen ganzen Schmuck zusammen zu empfinden und zu berechnen.
Im Mittelalter war die Vielseitigkeit um so viel leichter zu erreichen,
als die Aufgaben in allen Künsten homogener und einfacher, und be¬
sonders in Skulptur und Malerei konventionelle Ausdrucksweisen
herrschend waren. Das Außerordentliche beginnt, sobald ein Meister
mehrere, in gewaltigem Aufschwung begriffene, auf neue Probleme
gerichtete Künste umfaßt, d. h. mit den berühmten Toscanern des
14. Jahrhunderts, welche eine neue Welt der malerischen Darstellung,
eine Skulptur von zartester Vollendung, einen ganz eigenen Stil des
großartigsten Kirchenbaues und dann noch eine bisher unerhörte Ent¬
wicklung des Nutzbaues, der Hydraulik und Mechanik in ihrer Per¬
son vereinigten. Dies gilt mehr oder weniger von Giotto, von Ago-
stino und Agnolo (Vasari II, p. 8), Taddeo Gaddi (Vasari II, 113 s.),
Maestro Lando (Milanesi I,p. 228-232). Mit dem 15. Jahrhundert tritt
dann ein Brunellesco auf, zuerst als Goldschmied, dann als Mechani¬
ker, Bildhauer, Architekt, Perspektiviker, Meister kolossaler Kriegs¬
bauten und Danteausleger. (Er rechnete dem Dichter die Räume seines
Jenseits geometrisch nach.) Neben ihm Leon Battista Alberti, vgl.
Bd. »Kultur der Renaissance« dieser Ausgabe, S. 94.
Merkwürdig bleibt, daß noch spät sich niemand von Anfang an spe¬
ziell der Baukunst widmete. Vasari sagt von seiner eigenen Zeit (IX,
p. 223, v. di Baccio d' Angolo): meist von der Bildhauerei, Malerei oder
Holzarbeit aus gelange man jetzt zur Architektur, und zwar löblicher
als gewisse frühere Künstler, welche vom Ornamentmeißeln oder von
der Perspektivik aus zu Architekten wurden. (Dies im ganzen der Sinn.)
Giulio Romano bildete sich zum Architekten über der Ausführung
der baulichen Hintergründe in Raffaels vatikanischen Fresken. Vasari X,
p. 89, v. di Giulio. - Über die gewaltige Lücke, welche durch Giulios
Tod 1546 im mantuanischen Kunstleben entstand, s. den schönen Brief
des Kardinals Ercole Gonzaga, bei Gaye, carteggio II,p. 501. - Ein ganz
besonders glänzendes Beispiel von Vielseitigkeit bietet bei Vasari XI,
p. 86 ss. das Leben des Girol. Genga dar, welcher, von der Malerei be¬
ginnend, sich aller wesentlichen Zweige der Kunst bemächtigte.
Daß Bildhauer, „müde von den Schwierigkeiten ihrer Kunst“, oft
Baumeister wurden, sagtDoni, Disegno,fol. 14, vgl.fol. 34, wahrschein¬
lich nicht ohne Spott. Vielleicht zogen die Bildhauer, wenn sie älter
wurden, einfach das solidere Geschäft vor, wie z. B. Tribolo.
Besonders nahe war die Verwandtschaft des Architekten mit dem
legnaiuolo in den beiden Bedeutungen dieses Namens: Zimmermeister
sowohl als Holzschnitzer und Meister in eingelegter Arbeit (Intarsia);