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verließ sich jene kräftige Kunstzeit ohne Zweifel darauf, daß die Nach¬
kommen ebenso Treffliches würden hinmalen lassen, und urteilte, daß
man genießen müsse, was der Genius der Zeit biete.
Die Künstler aber, darunter einige der größten, ergriffen ohne allen
Rückhalt den Anlaß, monumental, mit großer Freiheit in der Wahl
und Auffassung der Gegenstände, für den täglichen Anblick einer gan¬
zen Bevölkerung malen zu dürfen. Was sie Treffliches schufen, war lau¬
terer, stets gegenwärtiger Ruhm. Dieser Kunstzweig schwang sich em¬
por zu einer ernsthaften Konkurrenz mit der reinen Architektur, nach¬
dem er anfangs wohl nur als ökonomisches Surrogat derselben gegolten
hatte. In Venedig wird es um 1550 zugestanden: molto piu dilettano[a]
gli occhi altrui le facciate delle case et de’ palagi dipinte per mano di buon maestro
che con la incrostatura di bianchi marmi, di porfidi et di serpentim fregiatid’oro
(§42). Lodov. Dolce, Dialogo dellapittura, p. 146, ed.fiorent.
Von dem prachtvollen Anblick, welchen solche Fassaden, oft gas¬
senweise, gewähren mußten, gibt jetzt keine Stadt mehr auch nur einen
entfernten Begriff. Von dem wenigen Erhaltenen ist das Wichtigste
verzeichnet, Cicerone, 1. Aufl. S. 292 ff.
Im 16. Jahrhundert galten als besonders reich an farbigen Fassaden:
Venedig, Genua, Pesaro und Mantua; Armenini, de’ veri precetti etc.y
p. 205.
§ 163
Die Besteller
Es kamen Beispiele vor, da entweder auf Anregung von Fürsten oder
auf freiwillige Abrede hin ganze Gebäudereihen oder Gassen einen fort¬
laufenden gemalten Schmuck erhielten.
Eine gleichartig fortlaufende, wenigstens dekorative Malerei ist vor¬
auszusetzen in Ferrara 1472 unter Ercole I., Diario ferrarese, bei Mu-
rat. XXIV, Col. 243: im Dezember fing man an, die Hallen der Geld¬
wechsler vor dem Turm Rigobello zu bauen und die Paläste der Si¬
gnori und die Buden der Lederhändler (le banche de licalgari?) zu malen.
Nachher, Col. 247 heißt es: den Palast der Lederbuden mit Paladinen,
d. h. wohl mit den Helden Karls d. Gr.
Lodovico Moro ließ in Mailand und Pavia die Vorbauten (§ 112)
in den Gassen wegräumen und die Fassaden ließ (fece) er malen,
schmücken und verschönern; Cagnola, archiv. stör. III, p. 188.
In Brescia am Corso del teatro sind noch fortlaufende mythologische
Malereien des Lattanzio Gambara erhalten.
Weit häufiger jedoch sind der Natur der Sache nach die von jedem
Eigentümer nach eigenem Geschmack bestellten Fassadenmalereien.
Schon ihr Ausgang von dem Andachtsbilde, § 162, weist darauf hin;
sie waren gewiß oft der Stolz des Besitzers und das Kennzeichen seines