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In Venedig früher nur einfache große Säle, angefüllt mit den Tafel¬
bildern der altvenezianischen Schule; Sabellicus, de situvenetae urbis, L. I,
fol. 84; L. II, fol. 87. Später wird der Bau zum geschlossenen Palast,
der, abgesehen von Nebenräumen und Treppe, aus einer großen untern
Halle und einem ebensogroßen obern Saal mit Altar besteht: Scuola
di S. Marco 1485, unten Säulenhalle mit Holzdecke; - Scuola di
S. Rocco seit 1517, unten ein mächtiger Saal wie oben, höchste Pracht
der Dekoration, mit einer Fülle von Tuchbildern auch an den Decken;
- bei S. Giovanni Evangelista ein zierlicher Vorhof von 1481; die übri¬
gen Scuole fast alle erst aus der Barockzeit. - In S. Rocco die schönste
Treppe.
Die korporative Einrichtung und Bedeutung der venezianischen
Scuole: Sansovino, Venezia, fol. 99 ss., eine Hauptstelle, die wir un¬
gern übergehen. Vgl .fol. 57 die Confraternität der Lucchesen, welche
ihr Lokal schon im 14. Jahrhundert bestmöglich ausgestattet hatte.
Außerdem stifteten die Scuole noch oft Kunstwerke aller Art in die
Stadtkirchen, ganz wie die Zünfte; etwa ein heiliges Grab in den Dom
der betreffenden Stadt (Diario ferrarese, bei Murat. XXIV, Col. 390,
zum Jahr 1500); oder ein Gemälde oder Relief, auf welchem die oft
zahlreichen Vorsteher der Brüderschaft knien unter dem von Engeln
ausgespannten Mantel der Gnadenmutter (Vasari II, p. 189, v. di Spi¬
nell 0; IX, p. 75, v. di Rosso), oder vor einer thronenden Madonna mit
Schutzheihgen, oder zu beiden Seiten eines leidenden Christus (Fresko
des Luini in der Ambrosiana zu Mailand).
XI. Kapitel
DIE KOMPOSITION DES PALASTBAUES
§ 88
Rückblick auf den frühem Palastbau Italiens
Die Zivilbaukunst der Renaissance, welche bis heute diejenige aller
nichtbarbarischen Völker tatsächlich beherrscht, besaß ihre wichtigste
Eigenschaft, die regelmäßige Anlage, als Erbschaft aus der italienisch¬
gotischen Zeit (§21).
Das heutige Bauen regelmäßiger Häuser und Paläste mit nordisch¬
gotischem Detail ist reiner Undank gegen die italienische Baukunst,
ohne welche es gar keine symmetrische Anlage gäbe.
Verpflanzt man aber schon venezianische Gotik nach dem Norden,
welche mit der Regelmäßigkeit allerdings in Harmonie steht, so bleibt
man damit nicht deutsch-nätionaler, als wenn man die reifere Gestal¬
tung derselben Triebkraft, die Renaissance, wieder adoptierte.