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Im Süden ist das Große und Schöne von selber heilig. Jeder mag
entscheiden, ob dabei der Begriff des Heiligen niedrig oder der der
Kunst hoch genommen sei. (Vgl. das Wort Michelangelos in der Re¬
lation des Francesco d’Olanda 1549, bei Raczynski, les arts en Portugal,
p. 14: »Die wahre Malerei ist edel und fromm von selbst, denn schon
das Ringen nach der Vollkommenheit erhebt die Seele zur Andacht,
indem es sich Gott nähert und vereinigt« - im Sinne des Sprechen¬
den gewiß für die Kunst überhaupt geltend.)
Wenn dann irgend etwas die religiöse Unsicherheit unserer Zeit be¬
weist, so ist es die ungemeine Empfindlichkeit gegen angeblich nicht
heilige Formen.
§ 62
Wesen des Zentralbaues
Wohl aber hat die Renaissance die höchste, allem Gotischen wesentlich
überlegene kirchliche Bauform, den Zentralbau, bis nahe an die absolute
Vollendung ausgebildet und einer künftigen Religiosität zum Vermächt¬
nis hinterlassen.
Der Zentralbau ist das Letzte im Reich der absoluten Bauformen
wie der griechische Tempel das Erste. Seine Möglichkeiten sind noch
lange nicht erschöpft; es mag Zwischenperioden geben wie unser
19. Jahrhundert, welches das Pensum des 13. noch einmal aufsagen
muß - immer von neuem wird jene große Aufgabe auftauchen, wo¬
bei die Versuche der Renaissance als unentbehrliche Vorstufen glän¬
zend in ihr Recht eintreten werden.
Im Norden schuf die spätromanische Phantasie in denselben Jahren
(bald nach 1200) das Zehneck von S. Gereon zu Köln und das Ideal¬
bild des Graltempels, und bald folgte der fast einzige großartige go¬
tische Versuch, die Liebfrauenkirche zu Trier. - Ein reines Achteck,
die Karlshofer Kirche zu Prag, s. bei Lübke, Gesch. d. Architektur,
5. Aufl., S. 588.
Für Italien ist wichtig die Bewunderung und der mythische Ruhm,
welche das Pantheon genoß (s. die Mirabilia Romae in den verschie¬
denen Redaktionen) und noch mehr die hohe Stellung, welche man
S. Lorenzo in Mailand anwies. Benzo von Alba im 11. Jahrhundert
sagt (ad Heinrich IW., ap. Pert% XIII, p. 680) von dem im Verfall be¬
griffenen Urbau: numquid est in toto mundo aula tarn mirabilis? - Arnulf
von Mailand (gesta archiepp. Med. III, 24, ap. Pert% X) bei Anlaß des
großen Brandes: templum cui nullum in mundo simile. Fazio degli Uberti
um 1360 (Dittamondo, L. III, c. 4) glaubt sich in dem »großen und
schönen Bau« nach Rom versetzt. Auch der wahrste Beweis der Be¬
wunderung, die Nachahmung, fehlt nicht (§ 16). Der Eindruck be¬
ruhte auf der geistvollen und imposanten Anordnung des obern und
untern Umganges um den Kuppelraum. (S. Lorenzoerscheint mir noch