Das Geistige als Solches
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c) Das Viele und das Eine
Nachdem jetzt also festgestellt ist, daß „Arten“ oder
„Formen“ des Wissens immer nur die Gegenstände des
Wissens und die Wege des Wissenserwerbs betreffen,
aber nie das Wissen selbst mit seiner Urform S weiß O1),
werfen wir noch eine neue wichtige, durch unsere letzten
Erörterungen bereits angeregte Frage auf: Ist das Ganz¬
heitlich-Wissende am Wirklichen, das ja erfahrungsmäßig
in Form vieler Subjekte erscheint, wirklich im aller¬
letzten Grunde ein „Vieles“, oder schließt sich das Viele
hier letzthin zu Einem zusammen?
Diese Frage soll natürlich nicht besagen, daß vielleicht
das Viele hier bloßer „Schein“ sei. Die Vielheit von Sub¬
jekten ist erfahrungsmäßig als bestimmte Mannigfaltig¬
keit da, und jede erfahrene Mannigfaltigkeit bedeutet,
wie wir wissen (S. 36), etwas für das Wirkliche. Das
Wissen des Wirklichen hat also sicherlich einen Vielheits¬
zustand. Die Frage ist nur, ob es daneben, was natürlich
nicht räumlich zu verstehen ist, nicht auch einen Einheits¬
zustand haben möchte.
Da ist es nun wichtig, daß wir auf manchen Gebieten
unseres Wissens t bergänge von Vielheit zu Einheit im
Rahmen des Wissens und der Ganzheit geradezu er¬
fahrungsmäßig kennen; und das Umgekehrte ebenfalls.
Ich beginne mit der Mitteilung einiger Fälle, welche dem
Gebiet eigener Untersuchungen entnommen sind, und
deren Erörterung zugleich als eine Ergänzung zu jenem
Abschnitt dieses Buches angesehen werden mag, welcher
von der Eigengesetzlichkeit, der mechanischen Unauflös¬
barkeit der Geschehnisse des organischen Lebens handelte
(S. 46).
Wenn man beim tierischen Ei die zwei oder die vier
ersten Zellen, in welche es sich während des Vorganges der
') Man möchte einwenden, daß in meiner Seele doch wohl eine
andere Form des Wissens selbst verwirklicht sei, da sie ja nicht nur,
wie Ich, wissend hat, sondern auch (Seite 63) wissend tut. Aber auch
bei ihr ist Wissen eben Wissen und es kommt nur ein neuer Inhalt
des Wissens dazu. Sie weiß, wie man das macht: zu tun.