hätte doch auch zu leben in der jetzigen Zeit«, sagt Hyperion von
den Bürgern Smyrnas.
Hegel und Schelling jedoch gelang es im Lauf der Zeit, den »Bür¬
gern« ihre Anschauungen aufzuzwingen. Als Philosophen brachten
sie zur Verteidigung ihrer Welt Argumente vor, die eine Zeitlang
die Geister bewegten. Hölderlin, der Dichter geblieben war, ver¬
suchte nichts dergleichen. Er war schüchterner als seine Freunde und
alles andere als ein Eroberer der Gedankenwelt; so vermochte er
weder den anderen seine Sprache aufzuzwingen, noch die ihre zu
erlernen.
Ich verstand die Stille des Äthers,
Des Menschen Wort verstand ich nie.
Er hatte deshalb keine Beweise, die Existenz der Welt, in der er
lebte, schlüssig darzutun. Diese Welt war göttlich und, da sie gött¬
lich war, ohne Gott. Denn wenn alles göttlich ist, gibt es keinen
Gott, nur Götter. Das Göttliche hat keinen Namen; einen Namen
haben nur die Götter, deren Zahl nicht genau feststeht und die
manchmal die Gestalt wechseln.
Die Existenz ist göttlich; sein, was man ist, heißt göttlich sein. Die
Pflanze ist göttlich, und die Gestirne sind göttlich, und der Äther,
das Bild der Göttlichkeit. Alles ist einfach in sich da und kennt kein
anderes Ziel, als immer zu sein; und die Jahreszeiten, die einander
folgen, und die Stunden des Tages in ihrem unveränderlichen
Rhythmus offenbaren uns, daß das Ganze vollkommen, daß alles
göttlich ist.
Alles, was ist, will also nur sein. Der Mensch allein, der seine
Grenzen nicht kennt, weiß nicht, wo er in einer Welt, in der alles
ruht, einen festen Platz finden soll. Die Pflanze ruft ihn zu sich
selbst und offenbart ihm das Leben, das von sich selbst nichts weiß
und im Großen, im Ganzen aufgeht. Er aber vernimmt den gött¬
lichen Rhythmus nicht, der alles regelt, und ist nirgendwo daheim,
und die Unruhe folgt ihm ohne Unterlaß.
Und doch geschieht es zuweilen, daß die Götter, die im heiteren
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