die ihn rufen, daß er Kenntnis nehme von allem, was da ist. Dem
Engel ist das Sein gegeben, dem Menschen das Wissen; dem Engel
der Himmel, dem Menschen die Erde.
Alle Dinge wollen gedacht werden
»Und wie Sonne und Mond die beiden großen Lichter sind, die
die Welt erleuchten, so stellen Engel und Mensch die beiden Leit¬
prinzipien der ganzen göttlichen Schöpfung dar. Der Engel steht,
wie die Sonne, dem Tag vor, das heißt der Welt des Intelligiblen;
der Mensch steht, wie der Mond, der Nacht vor, das heißt der
Welt der Erscheinungen.« (De Intellectu)
In der Welt der Erscheinungen existiert nichts in sich und durch
sich, alles ist sichtbar. Alles verlangt gesehen zu werden und alles
wendet sich an das Auge des Menschen, bietet sich seinem Sehen
dar und vollendet sich erst in seiner Schau. Darum ist der Mensch
dazu bestimmt, alles zu sehen, alles zu betrachten und alles zu
denken.
Aber nun findet jeder Gegenstand, indem er vom Menschen ge¬
dacht wird, im menschlichen Verstand seine Idee wieder und wird,
was er ist. Darum scheint jedes Ding sich an den Menschen zu wen¬
den und ihn aufzufordern, er solle es zu seiner wahren Natur zu¬
rückführen, damit es nicht mehr Erscheinung sei und seine Wahr¬
heit wiederfinde. Es will gedacht sein; es will einsichtbar werden,
damit es, Idee geworden, in seiner anfänglichen Unbeweglichkeit
ruhe. Aus diesem Grunde muß der Mensch alle Dinge denken, muß
die Welt von neuem denken, die vor jeder Schöpfung Gedanke
war:
»Alle Dinge waren anfangs im Gedanken, wurden dann aus dem
Gedanken hinaus projiziert und kehrten schließlich wieder zum Ge¬
danken zurück. Vor der Welt war der Gedanke, und nach dieser
Welt wird von neuem der Gedanke sein.« (De Intellectu)
Und es ist Sache des Menschen, die Welt zu ihren ersten Ursprün¬
gen zurückzuführen; er schafft die Schöpfung noch einmal in umge¬