Full text: Unter den Brücken der Metaphysik

dein Glaube. Sieh mit den Augen des Glaubens! Glaube, ehe du 
siehst, damit deine Augen genesen und du sehen kannst, nachdem 
du geglaubt hast! — Aber wer denn wird meine kranken Augen 
heilen? — Er, dein Gott, wird deine kranken Augen heilen, damit 
du Gott sehen kannst. 
Hoffe, o meine Seele! Lerne zu leben, wo du noch nicht lebst, damit 
der Tag komme, wo du dort zu bleiben und zu leben vermagst. 
Dein Herz gehe dir voran und bereite dir die Bleibe. Dein Herz 
sagt zu dir: Ich bin bei Gott. Warum kommst du denn nicht? Sag 
zu ihm: Warte auf mich, ich komme. Er ist fern, dein Gott, sagst 
du. Eile also, damit du schneller bei ihm bist! Laß dich durch nichts 
aufhalten! Blick nicht hinter dich! Blick nur auf das, was vor dir ist! 
Glaube! Gott wird dich tragen, er wird dich zum Ziel führen: er 
wird dich tragen, bis du dort angekommen bist. Es ist Nacht, und 
du hast Angst. Singe, o meine Seele, singe, bis der Morgen kommt, 
singe, indes du eilst! 
— Wann denn wird es Tag werden? Es ist überall Nacht. Ich fühle 
in mir eine Mattigkeit aufsteigen, die mich ganz durchdringt. Daß 
ich doch hier bleiben könnte, um den Tag zu erwarten und Gott zu 
sehen! 
— Säume nicht, o meine Seele! Beeile dich, er erwartet dich! Stimmen 
rufen dich in der Nacht. Antworte: ich gehe vorüber. Meine Heimat 
ist nicht hier. Ich bin nur im Vorübergehen hier. Mein Herz ist bei 
dem, den ich liebe. Was haltet ihr mich zurück? Laßt mich gehen! 
Daß ich doch schneller gehen könnte! Wann denn werde ich bei ihm 
sein? 
Du kannst dich nicht ausruhen, o meine Seele! Du steigst hinauf 
oder du steigst hinab. Erhebe dich, auf daß du nicht fällst! Lebe, auf 
daß du nicht stirbst! Sei, auf daß du nicht aufhörst zu sein! 
— Aber ich bin gefallen und meine Kräfte haben mich verlassen. Ich 
kann mich nicht mehr erheben. Ich werde sterben. 
— Klammre dich an ihn, daß er dich aufhebe! Sei schwach, daß du 
stark seist in ihm! Erniedrige dich, daß er zu dir komme und dich 
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