Full text: Unter den Brücken der Metaphysik

— Aber wo ist denn mein Gott, daß ich ihn sehe? Ich erhebe mich 
ihm entgegen, aber bald falle ich zurück. Ich sehe ihn nicht mehr, 
ich habe Gott verloren. Daß ich ihn doch sehen könnte, die ich ihn 
liebe! Ich bin ermattet. Ich möchte mich ihm entgegenwerfen, und 
etwas hält mich zurück. Ich möchte ihm entgegenfliegen, und etwas 
macht mich schwer und hält mich zurück. Ich falle und gleite dem 
zu, was nicht ist. Wer wird kommen und mich aufheben? 
— Er, er hebt dich auf; der, den du liebst, o meine Seele, wird dich 
aufheben. 
— Aber daß ich ihn doch sehen könnte, den ich liebe! Daß ich ihn 
von Angesicht zu Angesicht sehen könnte, damit mich nichts mehr 
von meiner Liebe abwende und daß ich ganz ihm gehöre! 
— Liebe das Unsichtbare, liebe, was du nicht siehst, liebe, ehe du 
siehst, damit du sehest! Es sieht ihn, wer ihn liebt. Das Herz sieht, 
was die Augen nicht sehen können. Der Glaube ist das Auge des 
Herzens. Du vermagst ihn noch nicht zu sehen, und schon sieht 
ihn dein Herz. Frohlocke, du wirst ihn sehen, du, die du glaubtest, ehe 
du sahst. Dein Glaube gehe deinem Bück voraus, dein Herz gehe 
dem entgegen, den deine Augen noch nicht sehen können! 
Er ist in dir. Er ist es, der da ist, und du bist es, die fort ist. Du 
bist es, die ferne von ihm ist, nicht er ist fern von dir. Er ist dir 
ganz nahe. Aber deine Augen sind krank, und du kannst ihn nicht 
sehen. Deine Augen sind krank und dein Blick ist getrübt. Ein 
Rauch steigt vor deinen Augen auf, und es wird Nacht. Phantome 
steigen überall auf, Phantome, die in dir wohnen. Und du fragst 
dich: wo ist mein Gott? Er ist da, ist immer da, dein Gott. Glaube: 
er ist immer nah. 
— Aber als ich meinen Blick erheben wollte, um ihn zu sehen, ihn, 
den ich ganz nah weiß, konnte ich meinen Blick nicht anhalten, 
und bald wandte ich mich ab, vom Licht geblendet, und von neuem 
wird es Nacht. O, daß ich in seiner Gegenwart bleiben könnte, um 
ihn ohne Unterlaß zu sehen! 
— Glaube, o meine Seele! Sieh ohne zu sehen! Dein Auge, das ist 
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