Full text: Unter den Brücken der Metaphysik

näher als die Menschen, und deshalb muß ich zuerst von den Din¬ 
gen sprechen, oder vielmehr, zuvor noch, von dem, was man eine 
Eigenschaft der Dinge nennt, nämlich von den Farben. Es gibt 
Farben, die man kennt; man sieht sie immer wieder, man bleibt 
nicht stehen, wenn man ihnen begegnet, könnte sie übrigens auch 
gar nicht erfassen, denn sie sind überall und man zieht keine 
Erkundigungen über sie ein. Aber manchmal tritt eine Farbe auf, 
die anderswoher kommt; Sören Kierkegaard kennt mehrere solche. 
Da war ein Grün auf einer Landkarte, die an der Wand hing, und 
diese Farbe war nicht genau so oder so, war nichts Seltsames, aber 
wenn man sie lange ansah, wurde sie ganz anders als sie zunächst 
war, und man staunte, daß sie anders war, und schaute sie immer 
wieder an. Und deshalb ist es nicht richtig, wenn man von farbigen 
Dingen spricht; es gibt vielmehr — so empfand es Sören Kierke¬ 
gaard — eine von den Dingen unabhängige Farbe, und gerade wenn 
sie Teil von Dingen ist, sieht man sie nicht wirklich, nicht so, wie 
man sie sehen kann, wenn sie für sich existiert, zum Beispiel auf 
der Landkarte. Was Sören Kierkegaard dazu trieb, die Farben so 
zu sehen, war — ich wiederhole — seine Liebe zum »anderen«, die 
Vorstellung, die er von andersfarbigen Welten hatte; man könnte 
jedoch auch sagen, daß er sich selber näher war, wenn er eine 
Farbe anschaute. Man wird sagen können, daß dieses Gefühl jenem 
ähnelte, das Sören Kierkegaard eines schönen Morgens empfand, 
als er in der Morgendämmerung aufwachte und in sich selbst zu¬ 
rückkehrte; auch das ein Gefühl, das ihn sein Leben lang begleiten 
sollte. 
Und in der Tat bleiben die Farben als solche etwas Unbestimmtes. 
So weiß man später nicht mehr, was man vorher über sie wußte. 
Darin unterscheiden sie sich von den Dingen, über die man immer 
wieder Neues lernt und die man fortwährend genauer bestimmt. 
Und das Unbestimmte ist immer wie etwas, das allem übrigen 
voranging. Daß die Menschen das Unbestimmte nicht verstehen 
können, ist der Grund, warum sie den Kindern so fern sind. Sie 
meinen immer, das Kind wisse nicht, was eigentlich los ist, und sie 
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