Full text: Unter den Brücken der Metaphysik

der Welt eine Frage gestellt, die das Leben nicht beantworten 
konnte. Und dann scheint ihm vielleicht auch, als ob alles, was er 
inzwischen vergessen hatte, wiederkomme und ihm nah sei. Dann 
treibt etwas in ihm ihn dazu, diese vergangene Welt als Meta¬ 
physiker zu deuten. Das ist wie eine Treuepflicht. Er sagt nicht 
zu dem Kind: »Was du damals gesehen hast, war eine Blume aus 
dem und dem fernen Land, ich weiß das jetzt, und jenes Wesen, 
das dir damals erschien, war ein Mann, der den und den Beruf 
hatte oder der und der Gesellschaftsschicht angehörte: ein Herr 
Soundso, ich kenne ihn jetzt.« Sondern er sagt: »Ich bin 
weit davon entfernt, dir eine Definition deiner Welt geben zu 
wollen, vielmehr will ich versuchen, dir als Metaphysiker zu er¬ 
klären, was dir gegeben wurde und wie es dir gegeben wurde. Ich 
versuche nicht, das Bild, das du dir von der Welt machst, in ein 
anderes Bild umzumodeln, ich übersetze deine Sprache nicht in eine 
andere, ich halte mich vielmehr an dieses Spiegelbild und erkundige 
mich nach der Weit, die darin reflektiert ist. Wenn die Philosophie 
reflektierendes Bewußtsein ist, muß es auch eine >Reflexion< dieser 
Welt geben. Es gab in deiner Welt Dinge, und es gab darin mit 
Seele begabte Wesen, es gab Distanz und Nähe — Dinge, die 
fixiert waren, und solche, die es nicht waren.« 
Aber warum erkundige ich mich nach all dem? Um das Leben 
besser zu verstehen. Wenn man beim Nachdenken über sich selbst 
vom »Menschen« ausgeht, von der »Seele«, dann muß die Haltung, 
die man dem Kind gegenüber einnimmt, eine andere sein, als wenn 
man vom Leben ausgeht. »Der Mensch«, »die Seele«, das »Ich« sind 
in Wahrheit Worte ohne Alter, ohne Leben. Oder vielmehr, man 
stellt sich eine Art Normalalter vor, dem die Jugend voranging 
und dem das Greisenalter folgt. Darin liegt etwas, das den Men¬ 
schen von dem in der Welt Vorgehenden und auch von den andern 
Menschen abschließt. Er wird zu einer Persönlichkeit mit den und 
den Eigenschaften; ununterbrochen fragt er sich »Wie bin ich?« 
und der andere Mensch ist nicht mehr der gleiche wie er. Gewiß, 
sie sind verwandt und ähneln sich. Man spricht von einer Menschen¬ 
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