Full text: Unter den Brücken der Metaphysik

Und wenn uns dann Staunen erfaßt, sind wir dann nicht der 
ersten Welt, der Welt des Kindes, näher als der Welt der großen 
Leute? Wir fühlen uns der bestimmten Welt fremd, und doch ist 
es seltsam, daß es eine Zeit gab, da diese Welt nicht bestimmt war. 
Man erzählt von dem Schiffbrüchigen auf einer verlassenen Insel, 
der nicht wußte, woher er kam. Aber ging es nicht jedem von uns 
einmal so? Was uns jetzt bekannt ist, muß uns einmal unbekannt 
gewesen sein. Aber damals waren wir eben Kinder. Es gehört zu 
den Wunderlichkeiten des Menschseins, daß wir uns gewissermaßen 
als fertige Geschöpfe betrachten, wo doch hinter uns ein Sein, ein 
Zustand liegt, der dem Wissen voranging. Das war in Wahrheit 
kein Schlummer, auch keine schrittweise Erkundung, um das Land 
immer besser kenncnzulernen, als hätten wir zuerst nur einen ganz 
kleinen Teil der Insel gesehen und sie dann allmählich ganz ent¬ 
deckt. Vielleicht sagt einer: »Zuerst war es eine Art Schlaf, aber 
ein Schlaf, in dem man Träume hatte.« Der Mensch wäre schlafend 
von der Stelle des Schiffbruchs auf die Insel gebracht worden, wäre 
dann lange Zeit auf dieser Insel wie im Traum umhergeirrt und als 
er schließlich ganz wach war, wäre ihm alles gar nicht mehr fremd 
gewesen. Noch besser: er habe es schon gekannt, bevor er genau 
wußte, was es war. Ja! Aber sieht es nicht jetzt, da ihm alles fremd 
erscheint, so aus, als stehe er von neuem am Anfang? Gewiß, 
dieses Bewußtsein der Fremdheit ist nicht vom Kinde bewirkt wor¬ 
den, aber doch besteht zwischen der Metaphysik und dem Zustand 
der Kindheit in gewisser Weise ein besonderer Bezug. Oder jeden¬ 
falls kann es einen solchen zwischen der Welt, die in gewisser 
Weise jenseits der Deutungen stünde, und der noch nicht gedeute¬ 
ten Welt geben. Und so vermag der Metaphysiker vielleicht die 
Rückkehr zur Kindheit zu vollziehen, weil er nicht glaubt, man 
könne das Leben kennen, und weil er nicht dem Kind Deutungen 
unterschiebt, die das Wissen verleiht. Er läßt nicht von dem Be¬ 
wußtsein ab, daß er jetzt besser weiß, wie es sich verhält, und will 
das Kind, das er war, nicht darüber belehren. Manchmal kommt 
es ihm — vielleicht zu Unrecht — so vor, als habe schon das Kind 
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