Die Phänomenologie und ihre Vieldeutigkeit.
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viel mehr. Das stiftet erstens eine große Verwirrung; denn
jeder, der das Wort „Phänomenologie“ gebraucht, ver¬
steht etwas anderes darunter. Es birgt aber zweitens
erhebliche Gefahren in sich für einen gesunden Fort¬
gang strenger Philosophie. Denn gewisse neuere „phäno¬
menologische“ Richtungen, welche in ihrem Wesen von
höchst bedenklicher Art sind, gehen nun eben unter
einem Namen, der auch verschiedene, zwar nicht neue,
wohl aber gut fundierte Formen des philosophischen
Denkens bezeichnet.
2. Die berechtigten drei Formen der Phänomeno¬
logie wurden früher als deskriptive Psychologie, als Onto¬
logie im Sinne einer Kategorien- oder Bedeutungslehre,
und als Definition empirischer Begriffe bezeichnet.
Ein erheblicher Teil der sogenannten Phänomenologie
ist in der Tat „deskriptive Psychologie“ in dem Sinne,
daß die unmittelbar bewußten Erlebnisse in ihrer Un¬
mittelbarkeit sorgfältig beschrieben werden, meist mit
Ausdrücken des täglichen Lebens, also in bildlicher Form.
Dieser Teil der Phänomenologie ist, wenn er nur nicht
mehr sein will, als er sein kann, unantastbar und liefert
wertvolle Vorarbeit, mehr freilich nicht, für eine
strenge theoretische Psychologie. Denn man muß das
Material, eben die Erlebnisse, genau kennen, welche man
später im Sinne einer genetischen Theorie verarbeiten
will. Zu wünschen wäre freilich, daß sich dieser Zweig
von dem, was Phänomenologie genannt wird, mehr als
bisher darauf legte, die wahren Elemente, d. h. die nicht
weiter zerlegbaren Glieder alles Erlebten, herauszuarbei¬
ten. Denn die Frage nach den Elementen alles Erlebten
bleibt trotz aller Ganzheitspsychologie bestehen: nur
ein Zusammengesetztes kann ja doch „ganz“ sein. Ferner
wäre es nötig, die verschiedenen Formen oder Typen von