Das Wesen der Psychologie.
55
jenige der wissenschaftlichen Philosophie überhaupt, und
so weit verfolgt, wie es nur geht.
In der Einleitung haben wir gesagt (Seite 6), wie man
eine Kathedrale ,,von weitem44, dann „immer näher44
und endlich „mikroskopisch44 betrachten könne. Da
wechselt man nicht den „Standpunkt44, sondern sieht
nur immer genauer hin! Endlich sieht man, so wollen
wir annehmen, die Elektronen, Damit sei die Ganzheit
zerstört, sagt man uns. Sie ist es keineswegs. Denn auch
der Mikroskopiker, wenn er ein Yollständigkeitsdenker
ist, was er natürlich sein muß, behält ja in seinem Ge¬
dächtnis das vorher „makroskopisch44 Gewonnene und
weiß sehr wohl, daß die Elektronen, von denen er jetzt
freilich jedes einzelne in seiner Einzelheit studiert, in
Gruppen geordnet sind und daß ihre Gruppenverteilung
eben „ganz44 ist. —
Psychologie ohne Kausalität ist Psychologie ohne Dyna¬
mik. Ganzheit kann Kausalität nie ersetzen, sondern
muß sich mit ihr paaren1). Denn alle Geschehnisse
— und es handelt sich psychologisch um Geschehnisse —
brauchen Dynamik, um verstanden zu werden. Kausali¬
tätsfreie Psychologie begeht denselben Fehler wie Hegels
Geschichtsphilosophie: beide übersehen die Notwendig¬
keit der Einführung einer Dynamik angesichts von Ge-
schehensfragen.
Daß Psychologie es mit „Sinnvollem44, mit „Sinn44
zu tun habe, sagt auch gar nichts gegen die Notwen¬
digkeit kausaler Erfassungsart für sie.
Gewiß, sie hat es mit „Sinn44 zu tun, weil Erleben
Sinnvolles haben heißt, weil ich gar nicht erleben kann,
1) Das übersehen Spann in seiner „Kategorienlehre“ (1924) und
in gewissem Grade auch Friedmann in seiner „Welt der Formen“
(1925), so Vortreffliches auch sonst beide Werke bieten.