Full text: Philosophische Forschungswege

Die ontologische Phänomenologie. 
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etwa eine „bittende Gebärde“ erfahrungsfrei richtig er¬ 
fassen solle, ist eine Behauptung, die geradezu grotesk ist. 
Daß mit dem Ich zugleich das Du als wirklich gegeben 
sein müsse, daß es gar kein Ich ohne Du geben könne, 
scheint mir eine so unmögliche Lehre zu sein, daß ich 
kaum verstehe, was sie meint. Praktisch mag der Zeit 
nach beim Kind der Besitz des klaren sich selbst reflek¬ 
tierenden Ich mit dem empirisch erworbenen klaren Du- 
Begriff zusammenfallen. Aber das meint man ja nicht. 
Was man offenbar meint, scheint mir aber deshalb jedes 
angebbaren Sinnes bar zu sein, weil ein Erleben ohne zu¬ 
gehöriges Ich ein unvollziehbarer Gedanke ist. Erleben ist 
„wesensmäßig“, um auch einmal phänomenologisch zu 
reden, an Ich und Etwas gebunden, gehört notwendig zu 
ihnen, ebenso wie Farbe notwendig zu Ausdehnung gehört; 
und das einzige, was zugegeben werden kann, ist dieses, 
daß das Ich beim Erleben bisweilen nur, in J. Volkelt’s 
Sprechweise, „implizite“ erlebt wird; aber selbst das nicht 
gerade häufig. Das angeblich ichfreie Erleben ist eine 
falsche begriffliche Konstruktion, unbewußt erwachsen 
aus dem Wunsche ein oberstes Genus, das Plotin’schen 
Hen zu finden; ist also gerade nicht „phänomenolo¬ 
gisch“ vorgefunden. 
Das „Du“ als Du ist stets ein Analogieergebnis, sogar 
angesichts der Tatsachen der Telepathie und des Ge¬ 
dankenlesens. Denn hier weiß man unmittelbar zwar um 
den bewußten Besitz eines Anderen, aber nicht um 
„ihn“ als Besitzer. 
Zuzugeben ist allenfalls, daß das sogenannte moralische 
Bewußtsein, also der Begriff des Es sollte sein, implizite 
ein anderes Seelisches fordert. Daß das ein eigentliches 
„Du“ im engeren Sinne sein müsse, ist aber gar nicht 
ausgemacht. Der „Wilde“ läßt überall Geister sein; der
	        
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