100 Metaphysische Ratschläge und Warnungen.
metaphysisches Wesen zu erfassen. Sie bringen aber nicht
den geringsten Grund für diese ihre Behauptung vor,
also dafür, daß sie mehr als erscheinungshaftes Wesen
schauend erfassen könnten, welches noch dazu, wie auf
Seite 49 gezeigt wurde, nur da, wo es sich um reine Ur¬
bedeutungen und ihre Zusammenhänge handelt, Wesen
im tiefen Sinne, also Wesentliches ist.
Und es wäre wahrlich schlimm um die Metaphysik be¬
stellt, wenn das angeblich phänomenologisch geschaute
„Wesen“ der Neueren das ganze Wirkliche wäre. Ab¬
gesehen von rein Bedeutungshaftem (formale Logik,
Mathematik, Farbengeometrie) schaut ja doch der Phäno-
menologe da, wo er sich nicht selbst täuscht und empirisch
Erworbenes für unmittelbar „geschaut“ hält, lediglich,
im Sinne introspektiver deskriptiver Yorpsychologie, ge¬
wisse unmittelbare Erlebnisbestände. Nun darf
ja freilich, wenn der Begriff wirklich einmal gesetzt
ward, alles Erleben „wirklich“ heißen, und insofern ist
„mitfühlen“, „erbautsein“ und was sonst in der Tat wirk¬
lich, wenn der Begriff des „An sich“ gesetzt worden ist.
Aber das alles betrifft doch bestenfalls nur die Meta¬
physik des menschlich-Seelischen, meines Seelischen —
und welch’ ein kleiner Punkt ist das im Rahmen des
Wirklichen überhaupt! Und selbst dieser kleine Punkt
wird phänomenologisch nur deskriptiv betroffen, so wie
die deskriptive Anatomie ein Tier beschreibt. Verstanden
wird nichts.
Die Metaphysik, wenn sie hochmütig die Methode vor¬
sichtiger Induktion verachtet und sich dieser „Phäno¬
menologie“ überläßt, hat sich wahrlich ihr eignes Grab
geschaufelt. Diese „Phänomenologie“ (Heidegger,
G. Stern — um nur die besten Vertreter zu nennen)
beschreibt ja doch nur, gewiß sorgfältig, Teile des natür-