Die Gefahren des Begriffs „Ganzheit“.
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Solches. Das Erleben eines Gefühls nennen wir Akt A;
nun kommt Akt B, der den Akt A als dagewesenen Akt
mit bestimmtem Inhaltssosein zum Inhalt hat, also
erlebnismäßig nicht dasselbe ist wie A. Aber weshalb soll
der Inhalt von A nicht im Akt B analytisch erfaßt werden
können so, wie er war? Das leugnen, würde heißen, die
sogenannte Erinnerungsgewißheit leugnen: sie aber ist
eine Voraussetzung der Philosophie, ja des Wissens über¬
haupt, obwohl an sie nur geglaubt werden kann. Weshalb
soll ich gerade hier, in der analysierenden Psychologie
nicht an sie glauben dürfen ? Kein Grund für solchen
Pessimismus liegt vor. Analysiert man nun im Glauben
an die Erinnerungsgewißheit sogenannte Gefühle, so er¬
kennt man sie stets als lust- oder unlustbehaftete ideae
confusae, d. h. als wenig scharf gegliederte, aber doch
gegliederte Gegenstände, die wissensmäßig herzlich
wenig, für das Handeln, leider, meist viel zu viel be¬
deuten. Denn Handeln sollte nur auf der Basis einer
idea clara et distincta, womöglich auch adaequata, erfolgen.
Übrigens müßten die, welche Verfälschung des erlebnis¬
mäßigen Tatbestandes durch nachfolgende Analyse leh¬
ren, eigentlich schon jede Art der bloßen Beschreibbar¬
ke it dieser Inhalte, welche ja auch stets „hinterher“
kommen muß und im Grunde schon der erste Schritt
einer Analyse ist, leugnen. Damit aber würden sie
leugnen die Möglichkeit einer Psychologie als
Wissenschaft überhaupt. Denn Wissenschaft als
Kulturtatsache ruht auf Mitteilung — und hier wäre
eben jede Mitteilung grundsätzlich ausgeschlos¬
sen! Jeder Psychologe müßte seine „Psychologie“ für
sich behalten; ja, nicht einmal „behalten“, denn wenn
er auch nur höchstpersönlich wieder an „früheres“ Er¬
leben denkt, wäre es ja „entstellt“.