Full text: Philosophische Forschungswege

Die Gefahren des Begriffs „Ganzheit“ 
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drücklich von Ganzheit redet, so meint er, ohne das be¬ 
sonders zu sagen, etwas anderes, nämlich erstens, daß 
die Elemente eines zusammengesetzten psychischen Be¬ 
sitzes sich in seltsamer, mit Worten nicht ausdrückbarer 
Form durchdringen1), und zweitens, daß der gegen¬ 
ständliche Inhalt des „ganz“ genannten Erlebnisses einen 
hohen Grad von Wahlordnung hat, wie das bei gewissen 
geometrischen, musikalischen, rhythmischen u. a. Er¬ 
lebnissen der Fall ist und auch bei allen Erlebnissen, die 
etwas Sachganzes der Naturwirklichkeit betreffen, also 
anschaulich oder rein gedanklich „meinen“, um in meiner 
Sprache zu reden. 
Hier dürften kaum Meinungsverschiedenheiten be¬ 
stehen. Aber ausgesprochen ist das, um was es sich 
handelt, wohl zuerst in meiner Studie über „Ganzheit 
und Wohlordnung“2). Man meint also, um noch einmal 
kurz zusammenzufassen, mit der Ganzheit eines Erleb¬ 
nisses, daß es entweder etwas Wohlgeordnetes zu seinem 
unmittelbaren Inhalt hat, oder aber, daß es auf etwas 
als ganz Erkanntes aus dem Bereich des Naturwirklichen 
hinweist. Da nun naturwirkliche Ganzheiten selbst unter 
den Begriff des Wohlgeordneten fallen, können wir sagen: 
Alle Wohlgeordnetes unmittelbar oder mittelbar zum 
Inhalt habenden Erlebnisse heißen im engeren Sinne des 
Wortes ganz. 
Diese Ganzheit im engeren Sinne ist es auch allein, 
welche in Rede steht, wenn der Seele eine „Tendenz“ 
zur Ganzheit — eine ganzmachende Tendenz zugeschrie¬ 
ben wird, sei es im Wahrnehmungsgebiete (Sander), sei 
es im Gebiet des Unanschaulichen (Selz). Diese Tendenz 
*) Grundprobl. d. Psych., 2. Aufl. 1929. S. 20ff. 
2) Annal. d. Phil. 6, 1927. Vgl. auch Grundprobl. d. Psych. 2. Aufl. 
S. 67 ff.
	        
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