Die Umbildung des religiösen Erlebnisses
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so sehr auch im übrigen der bürgerliche Gott sich von dem
des Volkes unterscheiden mag. Was vielleicht zu dieser Ver-
mutung Anlaß geben könnte, ist der Umstand, daß die Philo-
sophen in ihren Systemen der Gottheit eine Stelle angewiesen
haben und es manchmal scheinen könnte, als hätten sie
ihn überhaupt erst erfunden, indem sie seine Existenz be-
weisen und seine hauptsächlichsten Eigenschaften aufzählen.
So kann sich auch der gebildete Laie manchmal einbilden, daß
er den Weg zu Gott ganz selbständig gefunden habe und seine
Gottheit mit der christlichen nichts mehr zu tun habe — oder
vielmehr, daß seine Gottheit etwas Ursprünglicheres, „Natür-
licheres‘‘ vorstelle, als der Gott der Christen. Wenn wir
aber in Betracht ziehen, daß die christliche Vorstellung der
Gottheit verschiedene Momente in sich birgt, die nach ganz
verschiedenen Richtungen hin entwickelt werden konnten, so
liegt wohl die Annahme näher, daß der Laie im Grunde nur
den alten Gott „säkularisiert‘ und nicht eigentlich eine neue
Vorstellung Gottes gebildet oder eine solche von anderer Seite
her empfangen hat.
Dies alles soll nur zeigen, daß es nicht angängig ist, die ganze
moderne religiöse Entwicklung des Bürgertums in Frankreich
auf den einfachen Gegensatz: gläubig oder ungläubig zurück-
zuführen. Im Grunde handelt es sich eher um eine fortlaufende
Bewegung, um einen mehr oder weniger stetigen Fortschritt in
der Emanzipation des Bürgertums. Manchmal scheinen im
Leben der Einzelnen oder auch der ganzen Klasse die Gegen-
sätze sich zuzuspitzen. Der Einzelne verliert den Glauben, er sagt
sich von der Religion los. Man möchte auch manchmal meinen,
das ganze Bürgertum sei bereit, sich dieser oder jener extremen
philosophischen Theorie hinzugeben. Wenn man indessen auf
den Grund der Dinge geht, so handelt es sich weniger um große
entscheidende Kämpfe, in denen der prinzipielle Gegensatz
klar zum Ausdruck gekommen wäre, als um eine Reihe fort-
laufender Gefechte, die immer von Neuem einsetzen und die
oft damit enden, daß der gebildete Laie sich gewisser Stellungen
des Gegners bemächtigt, um sie zu seinen eigenen Gunsten
zu verwerten. Oft sind es überhaupt weit eher Spannungs-
zustände und Konflikte, die den Einzelnen und seine Gemein-
schaft selbst betreffen — ein inneres Ringen, ein Kämpfen mit
sich selbst, ein Streben, sich von gewissen Vorstellungs- und