Full text: Das Bürgertum und die katholische Weltanschauung (1)

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Die Kirche und die Bildung des bürgerlichen Bewußtseins 
alles weitere wird sich daraus ergeben. Aber der Laie konnte 
nun seinerseits weiter die Frage stellen: wenn ich an die 
Kirche glaube, woran glaube ich denn eigentlich? Die Kirche 
ihrerseits konnte darauf antworten: „Wenn du dich der kirch- 
lichen Autorität unterwirfst, so glaubst du eben alles, was 
sie lehrt.“ 
Aber diese Antwort kann dem Gebildeten nicht mehr ge- 
nügen. Allerdings: solange der Glaube noch eine lebendige Ein- 
heit darstellt, ist es für den Gläubigen immer nur von relativer 
Wichtigkeit, genau zu wissen und zu bestimmen, woran er 
glaubt und welches die Art und Weise seines Glaubens ist. 
Tatsächlich wird manches unbewußt erlebt, anderes wieder 
gerät in Vergessenheit oder hat überhaupt niemals eine be- 
sondere Bedeutung in dem religiösen Erlebniszusammenhang 
gehabt, und doch hat der Gläubige dabei das Bewußtsein, daß 
er an alles glaube. Er weiß nichts von den Schranken seines 
aktuellen Glaubens, von den zufälligen, durch die Umstände 
bestimmten Schwankungen in dem Gehalt seiner Erlebnisse. 
Für ihn bedeutet es dann tatsächlich das Gleiche: an die 
Kirche glauben und das glauben, was die Kirche lehrt. Bald 
ist dieses, bald jenes Gegenstand seines Glaubens; und doch 
hat er das Bewußtsein, daß sein Glaube ein Ganzes darstellt, 
das nur bald so, bald anders in seinem religiösen Bewußtsein 
in Erscheinung tritt. Ganz anders gestaltet sich dies aber 
für den gebildeten Laien. Hier muß tatsächlich unterschieden 
werden, was ein jeder wirklich glaubt und was er nicht zu 
glauben braucht, und ebenso, auf welche Weise er dieses oder 
jenes glaubt. „Ich glaube an die Kirche,‘ wird vielleicht auch 
noch der gebildete Laie sagen können; aber gleichzeitig wird 
sich ihm die Frage stellen: „glaube ich nun tatsächlich an alles, 
was die Kirche lehrt? Es gibt bestimmte Lehren, die ich über- 
haupt nicht kenne. Kann ich an etwas glauben, wovon ich 
nichts weiß? Es gibt Mysterien, die ich nicht verstehe, und 
es ist mir beim besten Willen nicht möglich, daran zu glauben. 
Kann ich nun wirklich mit gutem Gewissen behaupten, daß 
ich daran glaube?“ Sind diese Fragen einmal gestellt, so kann 
es, um den alten Glauben wieder herzustellen, nicht einfach 
genügen, das Prinzip der kirchlichen Autorität dem gebildeten 
Laien gegenüber in Erinnerung zu bringen. Der Laie wird 
auch weiterhin einen Unterschied machen zwischen dem,
	        
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