II. GLAUBE UND WISSEN
je Kirche hat eine Vorliebe für die schlichten Gläubigen, die
D zu glauben vermögen, ohne verstehen zu wollen. ‚Wir
finden manchmal unter dem niederen Volke,‘“ sagt der Pfarrer
von Gap, „schlichte Leute, für die Unschuld, Rechtschaffenheit
des Herzens, wahre Frömmigkeit die rechten Lehrmeister
sind ... wir Theologen, die wir aufgeklärten Geistes sind und
emsig studieren, besitzen ganze Bibliotheken und durchblättern
eine Unzahl Bücher; wir definieren alles, wir erklären alles
und diskutieren alles. Diese gute Seele hingegen vermag nichts
zu definieren, nichts zu erklären; sie diskutiert nicht lange
über dieses oder jenes, sondern alles setzt sie in Tat um. Wir
besitzen den Schlüssel der Wissenschaft und bleiben draußen;
sie hingegen bleibt nicht an der Schwelle stehen; ohne viel
Studien und ohne Bücher dringt sie bis in das Innere des
Heiligtums‘‘ (11). Die einfachen Gläubigen überlassen die
Lehre denen, die die rechtmäßige Autorität ausüben; es
genügt ihnen, die Sprache des Glaubens zu sprechen, so wie
ihre Vorfahren sie sprachen, ohne sich bei den Worten auf-
zuhalten und ihren genauen Sinn festzustellen. Neben dieser
Klasse von Gläubigen, denen ihr schlichter Glaube jegliches
Wissen ersetzt, gibt es dann die anderen: die Wissenden, die
Theologen, denen es zukommt, den Glauben rein zu erhalten.
Auf der einen Seite: die Meister, die wissen, woran sie glauben
und es in Worten ausdrücken können, auf der anderen Seite:
die Laien, die im Glauben leben, ohne daß sie sich klare Rechen-
schaft darüber ablegen könnten oder wollten. Den einen kommt
es zu, den klaren Sinn der Dogmen festzustellen, die strittigen
Punkte mit den Gegnern zu diskutieren, darauf zu achten,
daß der Glaube in seiner ursprünglichen Reinheit erhalten