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Professor Brentano machte die Auslassungen der Minister zum Gegen
stand einer für diesen geradezu vernichtenden KritikJ) Er zeigte, daß zwar stets
das interessierte Vorurteil kurzsichtiger Arbeitgeber behauptet habe, Lohner
höhungen führten zur Verminderung der Leistungen der Arbeiter, daß hiergegen
aber die Volkswirtschaftswissenschaft immer Protest erhoben habe. Ein hoher
Lohn vermehre den Fleiß der großen Masse. Darm seien sich zahlreiche volks
wirtschaftliche Theoretiker einig und die vorurteilsfreieren Männer der Praxis
bestätigen diese Lehre der Theoretiker. Brentano zeigt dann auf der Grundlage
statistischer Beobachtungen, daß die ministeriellen Ansichten unbegründet und
verkehrt sind. Brentano stellte die Sätze auf: 1. als regelmäßige Folge eines
höheren Lohnes ergibt sich stets eine erhöhte Arbeitstüchtigkeit und 2. mit einer
allgemeinen Verkürzung des Arbeitstages geht eine Steigerung der Leistungen
Hand in Hand, wobei als selbstverständlich vorausgesetzt wird, daß die Ver
kürzung der Arbeitszeit eine untere Grenze hat, die für jede Branche der Arbeits
tätigkeit 'praktisch zu finden ist. Der Herr Handelsminister suchte nachträglich
den Beweis für seine Behauptungen, die Arbeitsleistungen der Bergarbeiter
seien infolge oder mindestens im Zusammenhänge mit der allgemeinen Lohn
steigerung zurückgegangen, im XXIII. Bande der offiziellen ,,Zeitschrift für
Berg-, Hütten- und Salinen-Wesen im, preußischen Staate il zu liefern. Brentano
zeigte aber, daß nicht die amtliche Zeitschrift, sondern er recht habe.
Den Arbeitern auf den Staatsgruben nützte das allerdings nicht viel.
Die Lohnpolitik der Bergwerksverwaltung schloß sich ebenso wie die in der
Primtindustrie ,,eng an die jeweiligen Absatzverhältnisse an und umrde auf
das einschneidenste von ihnen beeinflußt 11, . 1 2 ) Man zahlte auch auf den Staats
gruben damals nicht mehr als man mußte, um Arbeitskräfte zu erhalten. Während
der Hochkonjunktur zu Beginn der 1870er Jahre stiegen die Löhne recht erheblich,
sie folgten aber ,,nicht annähernd den hohen Kohlenpi" eisen. 3 )“ Nach Eintritt
der Krise umrde dann auf ministerielle Anweisung sofort eine erhebliche Herab
setzung der Löhne vorgenommen. Sie hielten sich dann bis gegen Ende der 1880er
Jahre auf einer mäßigen Höhe. Es betrug der Lohn der eigentlichen Gruben
arbeiter (Hauer und Lehrhauer) einschließlich der Gefälle und Abzüge für Öl A )
im Jahre
1870
pro
Schicht
2,64 Mark
pro
Jahr
719,19 Mark
99 99
1874
99
9 9
3,58 „
99
99
962,89 „
99 9 9
1880
99
99
3,10 „
99
99
856,78 „
99 99
1885
99
9 9
3,24 „
99
99
878,02 „
99 99
1888
99
99
3,31 „
99
99
893,92 „
Nach Eintritt der wirtschaftlichen Krise in den 1870er Jahren wurde
aber nicht nur der Lohn der Saarbergleute reduziert, es wurden auch die sonstigen
Arbeitsbedingungen zum Teil erheblich verschlechtert. Die Bestimmungen der
Arbeitsordnung vom 15. September 1866 wurden durch die Einführung einer
Arbeitsordnung vom 6. August 1877 in manchen Punkten abgeändert und eine
in der erstgenannten eingeführte Kündigungsfrist von 4 Wochen für unständige
und von 3 Monaten für ständige Bergleute (diese selbst konnten jedoch mit
4 Wochen kündigen) auf 14 Tage herabgesetzt. Die lange Kündigungsfrist hatte
sich ,,als schwer durchführbar erwiesen und war auch nicht geeignet, einen heil
samen Druck in disziplinärer Hinsicht auszuüben“ b ) Zahlreiche Arbeiter wurden
auch beurlaubt oder entlassen.
1 ) Brentano: Über das Verhältnis von Arbeitslohn und Arbeitszeit zur Arbeits
leistung. Leipzig, Dunker & Humblot.
2 ) E. Müller: Der Steinkohlenbergbau usw. VI. Teil. S. 44.
3 ) Minister Dellbrück im Preuß. Abgeordnetenhause am 2. Mai 1907 (1)8. Sitzung).
*) E. Müller: Der Steinkohlenbergbau usw. VI. Teil. S. 154.
! ') E. Müller: Der Steinkohlenbergbau usw. VI. Teil. S. 42.