Gesamtlage der
Bergarbeiter
im Saarrevier.
zur Arbeitsstelle machen, was mit Mühe, Zeit und Kosten verknüpft war. Auch
das Familienleben litt darunter außerordentlich, besonders wenn es dem Mann
unmöglich gemacht war, täglich nach Hause zu fahren. Ebenso war auch die
zeitweilige Ablegung eine sehr empfindliche Strafe, die sehr häufig für Tage,
Wochen oder Monate erfolgte. Der Verdienstausfall brachte die Arbeiterfamilien
in Not. Es war unter Benutzung dieses Disziplinarmittels gar nicht schwer,
einzelne Familien wirtschaftlich vollständig zu ruinieren. Wenn Beamte Arbeiter,
die ihnen untergeben waren, drücken wollten, so waren diese geliefert. Daran
änderte auch das Beschwerderecht nichts. In der Regel glaubte man den Beamten
doch mehr wie den Arbeitern. Selbst bei vorsichtiger Handhabung waren die
genannten Strafen Mittel, um eine geduldige und unterwürfige Arbeiterschaft
zu erziehen.
Die Lage der Arbeiter im staatlichen Bergbau an der Saar war nicht
immer gut; die Arbeiter hatten hier bei dem unter einheitlicher Leitung stehenden
Bergbau noch weniger Einfluß auf die Gestaltung des Arbeitsvertrages wie in
den Privatbetrieben. Auch mußten die Arbeiter der Staatsgruben früher ebenso
wie die in Privatbetrieben unter den Folgen schlechter Konjunkturen leiden.
So z. B., als dem schwindelhaften Aufschwung der Industrie nach dem Kriege
von 1870 ein starker Rückschlag folgte und allenthalben ein Überfluß an Arbeits
kräften vorhanden war.
Als ein Mittel, um Handel und Industrie zu heben, empfahl damals
der preußische Finanzminister Camphausen im Jahre 1875 die Herabsetzung
der Arbeitslöhne. Dieser Rat fand Anklang sowohl bei der Privatindustrie als
auch bei dem Minister für Handel und Gewerbe Achenbach. Dieser erließ an
die ihm unterstellten fiskalischen Grubenverwaltungen folgendes Rundschreiben : x )
,,Es ist bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, daß bei den anhaltend rück
gängigen Konjukturcn im Bergwerks- usw. Betriebe für die Verwaltungen der fiskalischen
Werke die Notwendigkeit vorliegt, auf die Ermäßigung der Selbstkosten hinzuwirken. Es
bedarf zu diesem Zwecke auch einer allmählichen Herabsetzung der Löhne, insbesondere
der Gedingsätze, sowie einer Erhöhung der Arbeitsleistungen. Tatsächlich sind die letzteren
gegen früher nicht unwesentlich zurückgeblieben, und gerade in den letzten Jahren, wo die
Löhne der Arbeiter eine unverhältnismäßige Steigerung erfahren hüben, sind die Leistungen
der Arbeiter fast ausnahmslos noch geringer ausgefallen. Dieses Mißverhältnis machte sich
in den Jahren 1873 und teilweise auch 1874 weniger geltend, weil die fiskalischen Werke
bei dem hohen Preise ihrer Produkte und Fabrikate und bei den günstigen Absatzverhält
nissen trotzdem gute finanzielle Resultate zu erzielen vermochten; es stört indessen gegen
wärtig das Gleichgewicht zwischen den Einnahmen und Ausgaben und es muß Vorsorge
getroffen werden, daß die Bergwerksverwaltung auch unter den weniger günstigen Verhält
nissen angemessene Überschüsse erzielt. Es kommt, um dieses Ziel zu erreichen, weniger
auf eine allgemeine Herabsetzung der Arbeitslöhne, als vielmehr darauf an, daß die Arbeits
leistungen gesteigert werden, wozu in der Ermäßigung der Gedinge ein entsprechender Hebel
zu finden ist. Es wird dabei dem fleißigen Arbeiter Gelegenheit geboten, bei größerer Leistung
sich den gleichen Erwerb wie früher zu verschaffen, so daß die weniger eifrigen Arbeiter
es sich selbst zuzuschreiben haben würden, wenn eine Schmälerung ihres Verdienstes eintritt.
Die Direktoren der Staatswerke werden zwar, wie ich voraussetze, schon bisher bestrebt
gewesen sein, nach dieser Richtung hin das fiskalische Jnteresse zugleich auch mit Rücksicht
auf das Wohl der Arbeiter (7) wahrzunehmen; nichtsdestoweniger halte ich es für angezeigt,
die Erwartung auszusprechen, daß auf die Ermäßigung der Selbstkosten hingewirkt werde.
In den von den Werksverwaltungen für das erste Quartal d. J. zu erstattenden Betriebsbe
richten erwarte ich Anzeige usw. gez. Achenbach! 1
,,Heruntersetzung der Löhne und Erhöhung der Leistungendas war
das Rezept, um den ,,Nationalivohlstand“ zu heben.
1 ) Christlich-soziale Blätter 1875. S. 440 f.
— 6' —