— 17 —
In Wirklichkeit ist aber auch die Lage der Arbeiter im Saarrevier gar
nicht so glänzend., wie oft behauptet wird. Es soll gar nicht geleugnet
iverden, daß ein recht ansehnlicher Teil der Saarbergleute gar nicht
so schlecht gestellt ist und ein für Arbeiter recht erhebliches Vermögen
besitzt. Meist die Folge eines ererbten Besitzes, großer Bedürfnislosigkeit und
Sparsamkeit der Vorfahren und zum Teil persönlichem besonderen Glück und
auch eigener weitgehender und allgemein nicht möglicher Bedürfnislosigkeit und
Sparsamkeit. Der größte Teil der Saarbergleute ist aber nicht gut gestellt. Die
Zahl der Hausbesitzer ist ja im Vergleich zu manchen anderen Revieren recht groß.
Im Jahre 1905 waren von 46 489 Belegschaftsmitgliedern 18 223 Hausbesitzer. 1 )
Das sind 39,20 Prozent der Gesamtbelegschaft. Von den Verheirateten (60,28
Prozent der Gesamtbelegschaft) waren im genannten Jahre 65,02 Prozent Haus
besitzer gegenüber 67,74 Prozent im Jahre 1875. Ein recht erheblicher Teil der
Saarbergleute, auch der Verheirateten, hat also kein eigenes Haus oder
Häuschen. Dazu kommt dann, daß die Hausbesitzer zum größten Teil eine
recht erhebliche Schuldenlast zu tragen haben. Herbig schätzt den durchschnitt
lichen — seiner Ansicht nach niedrig gegriffenen — Wert der Häuser auf
4500 Mark und die Durchschnittsschuldenlast pro Haus auf 1500 Mark.
Nach einer von uns in verschiedenen Orten vorgenommenen privaten
Erhebung stellte sich die Durchschnittsschuldenlast bedeutend höher. So waren
z.B. für das Dörfchen Quierschied von 109 Hausbesitzern Angaben gemacht.
Die durchschnittliche Schuldenlast stellte sich hier auf rund 3200 Mk. Dabei
waren, wie uns Kenner der dortigen Verhältnisse versichern, manche Waren
schulden nicht angegeben. — In manchen Orten steht der Prozentsatz der Haus
besitzer auch weit unter dem allgemeinen Durchschnitt. Außer den auf den
Besitzungen ruhenden Hypotheken sind' im Saarrevier vielfach recht erhebliche
Warenschulden vorhanden. Siehaben,ivie von uns vorgenommene privateErhebungen
bei den Geschäftsleuten ergaben, in den letzten Jahren bedeutend zugenommen.
Auch Nieder, dem eine eingehende Kenntnis der Verhältnisse im Saar
gebiet nicht abzusprechen ist, hält die Lage der Saarbergleute nicht für günstig.
Er führt hierzu aus: 2 )
„Ich gebe vorerst einmal mit Vorbehalt folgendes zu auf Grund der von Müller
vorgelegten Preistabellen für Lebensmittel: die LebensmitteIpreise entwickelten sich in dem
fraglichen Zeitraum nicht so stark, daß die Kaufkraft des Lohnes sehr stark alteriert worden
wäre; zudem wurde das Konsumvereinswesen gut entwickelt. Auch die Anzahl jener Berg
leute, die etwas Land besitzen und auch etwas Vieh, ist bemerkenswert. . . . Gleichwohl sind
im Laufe dieser fraglichen Jahre besonders für die immerhin zahlreichen Familien ohne
Ar und Halm und Vieh auf dem Gebiet der Ernährung ganz fraglos berechtigte Bedürfnisse,
z. B. nach Fleischnahrung, Milch, Butter und Eiern, durchaus nicht außer Spannung
gesetzt worden, weder für den hart arbeitenden Bergmann selbst, noch auch für die heran-
wachsende Jugend und die Mütter. Die durchgearbeiteten Budgets dürften Überraschungen
bringen. Ein starkes Beispiel kann bereits angeführt werden: das peinlich, lückenlos ge
führte Haushaltungsbuch (pro 1907/08) einer anerkannt soliden Bergmannsfamilie mit
neun Kindern unter 14 Jahren zeigt folgendes Schlußergebnis: der Mann verdiente als
Hauer 1421 Mark. Zur vollständigen Bedarfsdeckung mußte er durch Nebenarbeit noch
1220 Mark mühsam hinzuverdienen. 11
Seit 1903 — die späteren Zahlen lagen Nieder nicht vor — haben sich
die Lebensmittelpreise recht ungünstig entwickelt, so daß das Ergebnis der Füh
rung des Haushaltungsbuches wohl erklärlich ist. Der angeführte Fcdl, wenn er auch
nur ein Einzelfall ist, wirft ein recht bezeichnendes Licht auf die Verhältnisse.
Ein ähnliches Ergebnis hatte die Führung eines Haushaltungsbuches in
einer anderen sehr sparsamen Familie, dessen Ergebnis von der „Neunkirchener
Vf Herbig, Glückauf 1910, S. 1381 f.
■) Nieder, Die. Arbeitsleistung der Saarbergleute S. 19 Anmerkung.
Lage der Saar
bergleute ist nicht
so glänzend wie
oft behauptet
wird.